Hubertus von der Goltz

Hubertus von der Goltz

Hubertus von der Goltz – Gedankenwege

Hubertus von der Goltz kommt von der traditionellen Skulptur her. Sein Weg als Bildhauer hat mit Werken begonnen, die sich auf den menschlichen Körper beziehen – als Porträt, als Akt und als Gewandfigur, gelegentlich auch eingebunden in szenische Kompositionen, die er als Reliefs realisierte. Diese frühen Arbeiten sind handwerklich sehr ausgefeilt, haben aber etwas seltsam Ungelöstes. Es geht dem Künstler darin sichtlich nicht um Harmonie, sondern um einen zutreffenden zeitgenössischen Ausdruck, den auf herkömmliche Art „einzufangen“ sich als problematisch erweist, denn weder der erlernte klassische Körperkanon noch das Porträthafte vermögen aufzunehmen und zu transportieren, was er erlebt und empfindet. Für Hubertus von der Goltz ist der moderne Mensch ein Wesen, das in einem großen Raum agiert und dessen Hauptproblem darin besteht, sich als Einzelwesen in einer Vielzahl von Beziehungen zurecht zu finden. Auf der Suche nach einer adäquaten Formulierung für diese heutige Existenzweise des Menschen hat er die Figur im Hinblick auf den Umraum, der ihren Habitus und ihr Verhalten prägt, analysiert und zu einer gestalterischen Essenz geführt. Es geht dabei um Mehreres: den Siedlungsraum – als Manifestation der sozialen Welt – und die Natur – als Raum des Universums und als menschlicher Gedankenraum. Jede dieser Sphären ist aufs Engste mit den anderen verwoben zum spezifisch menschlichen, von Orientierungshilfen aller Art erfüllten Existenzraum. Die skulpturale Formel, die Hubertus von der Goltz dafür gefunden hat, ist das Ergebnis hoher gedanklicher Abstraktion und sinnlicher Verdichtung.

Die Phantasie, sich als Einzelner oder mit wenigen Anderen auf einem schmalen Pfad im Universum halten zu müssen, der das, was er an Boden bietet, gnadenlos als Bewegungslinie vorschreibt – diese metaphorische Phantasie kennen wir nicht nur aus dem Cyber Space mit seinen ausgeschmückten Geschichten. Sie beschreibt die Schwierigkeit, im Leben klarzukommen, steht aber auch für die Gefahren, die unser aller Entfremdung von der Natur mit sich bringt. Schon die Romantiker haben das Problem erkannt: Die von uns heute so bewunderten Landschaften Caspar David Friedrichs sind von seinen kritischen Zeitgenossen als naturfern und unheimlich empfunden worden. Mit Recht gilt Friedrich heute als ein Vater der Moderne, besonders der „abstrakten“ Kunst. Wenn man so will, ist Kasimir Malewitschs schwarzes Quadrat auf weißem und auf schwarzem Grund die letzte, in der Fläche mögliche Zusammenfassung einer Landschaft bei Tag und bei Nacht. Sie beherbergt menschliche Geschöpfe nicht mehr. Der Mensch ist nur noch mit dem Geist darin, als wäre er selbst Schöpfer der Gestirne und ihres Wandels. Wir kennen die Kehrseite dieses zweifellos großartigen Selbstgefühls von dem Dichter Samuel Beckett, denn dieser beschrieb das losgelöst Geistige wie ein quälendes Delirium, das an den Rand des Nichts führt. Die Kunst unserer Tage ist nicht denkbar ohne Auseinandersetzung mit diesem Dilemma. Hubertus von der Goltz steht mit der Metaphorik seines skulpturalen Ansatzes mitten darin. In seinen Werken setzt er den fleischlichen Menschen in die vom Fleischlichen entleerte Sphäre seiner eigenen Konstruktionen ein, auf dass er sich darin auf den Weg mache. Das geschieht in wenigen, typisch gewordenen Varianten und Materialien, mit einer Selbstverständlichkeit, als gäbe es nur diese eine Konstellation künstlerisch zu bedenken. Und in der Tat hat sie sich in seinen vielen Schaffensjahren weder intellektuell noch ästhetisch abgenutzt.

Hubertus von der Goltz hat sein Lebensthema der „Balance“ schon früh gefunden. In Ostpreußen, der damals so genannten „Kolonie“, geboren, musste er als kleiner Junge bei Kriegsende mit seiner Familie flüchten. Als 20-Jähriger begann er eine Klavierbauer-Lehre in Hamburg, studierte dann Architektur und freie Kunst in Berlin, arbeitete in Architekturbüros und lernte gleichzeitig, den menschlichen Körper als Form zu beherrschen. Beide Aspekte wurden wesentlich für seine Kunst: Auf der einen Seite die geistig-seelische Auslegung konstruktiver Zusammenhänge, auf der anderen der menschliche Körper mit seinen vielen Möglichkeiten, sich zu stellen oder zu halten. Hubertus von der Goltz hat strikt vermieden, das tektonische Prinzip der klassischen Skulptur auf die menschliche Figur zu übertragen und hat damit ganz grundsätzlich Gegenposition zum Klassischen bezogen. Statt die menschliche Gestalt zu ordnen und zu disziplinieren, dient das Konstruktive in seinen Werken ihrem freien Halt, auch im Sinne einer geistigen Spiegelung. Er trifft sich hierin in gewisser Weise mit dem französischen Maler-Bildhauer Edgar Degas, dessen Interesse für Tanz und Tänzerinnen ebenfalls auf die Frage hinauslief, welche Form ein Körper in Bewegung hat und welche Spielräume er ausmessen kann, ohne außer Balance zu geraten. In den Werken von Hubertus von der Goltz hat dieser Körper in Bewegung etwas viel mehr Anonymes angenommen. Es ist ein Körper in der Ferne, vor dem Hintergrund von Weite und Leere, ein verlassener, in seiner Kleinheit fast schon flüchtiger Körper, der aber natürlich und unprätentiös daherkommt, sodass man mit ihm fiebert und den Atem anhält. Das liegt nicht an einem einfachen Naturalismus der Form, sondern an der Art, wie in ihr Bewegungszusammenhänge, die ja immer ein Ablauf in der Zeit sind, in einer einzigen charakteristischen Linie, einem Körper-Umriss von großer Lebendigkeit, gleichsam essentiell auf den Punkt gebracht sind. Dieser kündet zugleich von der langen Arbeits- und Lebenserfahrung des Künstlers. Statt in Ruhe und Gelassenheit zu münden, zeigen seine Arbeiten – im öffentlichen Raum oft in luftiger Höhe über dem tosenden Verkehr des wirklichen Lebens – eine waghalsige Vitalität.

Dr. Katrin Arrieta

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