Artikel aus der SÜDTIROLER WIRTSCHAFTSZEITUNG vom 07.02.2020
Text von Traudi Messini
Präzise Unschärfen
Durch die lange Glasfront der Cafeteria der Pinakothek der Moderne in München fällt der Blick auf eine einsame Figur, die in sich in sich gekehrt auf einem massivem Brocken kauert und in die Ferne, in Richtung Museum Brandhorst schaut.
Salchers in München ausgestellte Skulpturen sind – im Gegensatz zu seinen sonstigen Arbeiten – eher statisch.
Der Grödner Bildhauer Thaddäus Salcher hat hier ein Stück seiner Heimat auf die Straße vor der Münchner Galerie an der Pinakothek der Moderne gesetzt. Ungewöhnlich, aber durchaus in seinem Schaffen vertreten, wie er selbst betont, ist die menschliche Figur. Salcher ist eigentlich eher ein Meister der abstrahierten Form. Er bringt durch eine Bewegung in der Form seine Skulpturen zum Schwingen. Da mutet diese statische Figur vor der Galerie ungewöhnlich an. Aber es ist ein Geniestreich, diesen grob geschnitzten Block in Eisen gegossen an der befahrenen Kreuzung Gabelsbergerstraße/Türkenstraße der Münchner Pinakothek vor die Nase zu setzten: Ein Aufruf, die Galerie zu besuchen.
Dort werden wir von einem Setting anderer einsam wirkender Figuren in Rostrot empfangen. Zunächst muten alle Skulpturen an, wie aus Holz geschnitzt, was sie ursprünglich auch waren, in ihrer endgültigen Form sind sie aber allesamt Abgüsse in Eisen.
In ihrer Dimension ganz unterschiedlich stehen die Figuren da, jede für sich, schauen zu Boden oder in die Ferne. Alle sind fest mit ihrem Sockel verbunden; der ist Teil der Skulptur, nicht einfach nur Podest. Bei einer der Figuren wird diese Verschmelzung zur bestimmenden Komposition, hier hat Salcher die Vorderseite durchschnitten, gibt den Blick ins Innere frei, demonstriert, wie wichtig ihm diese Verbindung aus Sockel und Figur ist: ein Gegenschlag zur traditionellen Präsentation einer Skulptur auf irgendeinem beliebigen Sockel.
Auch die kleinen Skulpturen, die an den Wänden hängen, bilden mit ihrem Untergrund eine Einheit. Bei diesen Wandarbeiten kommt die abstrakte Arbeit von Salcher wieder zum Tragen. Die kleinen Figuren in Anthrazit aus Bronze sitzen auf geschwungenen Ebenen. In den zwei kleinen Schlaufen in den Fensternischen liefert Salcher dann auch noch eine Kostprobe seiner abstrakten Arbeit, die er gewöhnlich in monumentalen Dimensionen fürs Freie schafft.
Was da so traditionell aussieht, legt bei näherem Betrachten eine profunde Auseinandersetzung mit der klassischen Skulptur unserer Zeit frei. Hier wird nicht nur Holz zu Eisen oder Bronze. Hier steht auch eine Figur, die so flach gehalten ist, als sei sie einer zweidimensionalen Realität entstiegen. Wie flach kann eine klassische Skulptur sein und immer noch als Skulptur im Raum stehen?
Auch in Robert Bosisios Arbeiten geht es um die Umkehr von Zwei- und Dreidimensionalität.
Um diese Umkehr von Zwei- und Dreidimensionalität geht es auch in den neueren Arbeiten von Robert Bosisio, der – eingeladen von Thaddäus Salcher – hier zusammen mit dem Bildhauer seine Malerei präsentiert.
Robert Bosisio ist ein klassisch arbeitender Künstler der Farbe, der sich mit seinem Medium konstant auseinandersetzt. Er trägt unzählige feine Farbschichten in langen Arbeitsprozessen auf und erzielt damit eine ungewöhnliche räumliche Tiefe. Räume waren bis vor ein paar Jahren sein dominantes Thema, das er jetzt auf die menschliche Figur ausgedehnt hat: eine Parallele zum Werk Salchers, der bislang ebenfalls hauptsächlich mit Räumen arbeitete, sie durchtrennte, aufriss mit seinen abstrakten Skulpturen.
Bosisio hat in den vergangenen Jahren zu seiner Farbschichtentechnik neue Materialien entdeckt, die er auf die Farbe setzt, mit der er die Oberfläche bestreut und damit klaren Kontouren ihre Schärfe nimmt, ohne sie jedoch zu verwischen. Er malt diese Unschärfen ganz präzise mit dem Pinsel. Bei anderen Bildern ritzt er in die Farboberfläche ein Raster aus horizontalen oder/und vertikalen Linien, und unterbricht damit wiederum die scharfen Umrisslinien seiner Figuren und Räume, verleiht dem Bild damit einen weiteren Effekt der Tiefe. Und er verwischt seine Malspuren damit, so dass der Pinselduktus, seine Malmanier nicht mehr zu erkennen ist. Wenn er beispielsweise nur einen überdimensionalen Mund malt, bedient er sich aber auch immer wieder ausschließlich seiner traditionellen Farbschichtentechnik, zu der er immer wieder zurückkehrt.
Bei beiden Südtiroler Künstlern stehen Raum und menschliche Figur im Zentrum ihrer Arbeit, beide sind in ihrer Aussage unpolitisch, beide beschäftigen sich mit dem Menschsein – bei Salcher sind es die Einsamkeit und die Orientierungslosigkeit, bei Bosisio das Wesentliche des Menschen: Wie wenig Kontouren braucht es, um das einzufangen? Bosisio möchte nie einen bestimmten klar erkennbaren Menschen wiedergeben, er möchte im Gegenteil Raum lassen für Interpretationen. Bosisio will nicht, dass seine Figuren in Schubladen gesteckt werden können, sondern dass beim Betrachten eigene Assoziationsmöglichkeiten bleiben.