Artikel aus dem SONNTAGSBLATT vom 17.10.2019
von Markus Springer
17.10.2019 Schützendes Haus der Farben
Maler Gerhard Rießbeck erhält den Kunstpreis 2019 der bayerischen Landeskirche
Von Markus Springer
Gerhard Rießbeck aus Bad Windsheim erhält den Kunstpreis 2019 der bayerischen Landeskirche. Ist die kirchliche Auszeichnung für den fränkischen Maler auch eine Wiedergutmachung für einen kleinen Kunst-Kirche-Skandal?
Der Kunstpreis 2019 der bayerischen Landeskirche, den die Münchner Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler am 18. Oktober in München an den Künstler Gerhard Rießbeck übergibt, erinnert auch an eine handfeste Auseinandersetzung um moderne Kunst in der Kirche. Denn im unterfränkischen Ebern weiß man nur zu gut, dass zeitgenössische Kunst mitunter schrille „Resonanzen“ beim Publikum erzeugt.
Ausgerechnet ein Kunstwerk des Preisträgers Gerhard Rießbeck war es, das hier vor vier Jahren vernehmlich für Kunst-und-Kirche-Dissonanzen sorgte. Im Rahmen einer Kunstaktion im Kirchenkreis Bayreuth hatte Rießbeck in der leeren Deckenrotunde der 1958 eingeweihten Eberner Christuskirche eine „Dornenkrone mit Luftballons“ platziert. An die Altarwand setzte er einen Reigen weiterer Luftballons.
Bei der Präsentation der Arbeit platzte einigen empört der Kragen.
Es kam zu einer Gemeindeversammlung und einer Abstimmung. Nicht einmal zehn Prozent der Stimmberechtigten votierten, doch von 125 gültigen Stimmen waren 67 gegen Rießbecks Kunstwerk. Es war auch ein Generationenkonflikt – die Älteren dagegen, die Jüngeren dafür.
Ein Gekreuzigter, der eine Kasperlmütze statt einer Dornenkrone trägt, das Bild einer Dornenkrone mit Luftballons: Macht sich der Maler Gerhard Rießbeck mit seinen Arbeiten tatsächlich über die Kirche lustig? Oder über den christlichen Glauben? „Natürlich nicht“, sagt Rießbeck, und das darf man glauben. Er ist keiner wie der Skandal-Künstler Martin Kippenberger (1953-1997), der 1990 einen Frosch ans Kreuz schlug , oder der Münchner Körper-Kunst-Extremist Wolfgang Platz mit seinem bluttriefenden Splatter-Kruzifix “ Superstar“ (2002 in der Münchner Lukaskirche).
Rießbeck (55) ist nicht weit entfernt von Ebern geboren, in Lichtenfels. Der Pfarrerssohn hat selbst in Erlangen ein paar Semester Theologie studiert. Dass er sich an seiner protestantischen Sozialisierung, auch am eigenen Vater, abgearbeitet hat, verhehlt Rießbeck nicht. „Aber das Heimatgefühl in der Kirche bleibt“, sagt er.
„Aufgabe von Kunst ist es, die Menschen in irgendeiner Form zu treffen“, sagt Rießbeck.
Und das löse Unsicherheiten aus, mitunter Abwehr. Hätte man das Publikum der jeweiligen Zeit basisdemokratisch abstimmen lassen – es gäbe heute weder die Sixtinische Kapelle noch den Eiffelturm, ist Rießbeck überzeugt.
„Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“, wusste Karl Valentin. Und es ist so eine Sache mit der Frage, ob man über Kunst demokratisch abstimmen kann oder sollte. Im Fall Ebern sind sich heute fast alle Beteiligten einig, dass der „Volksentscheid“ der Gemeinde über Rießbecks Kunst vielleicht nicht völlig falsch war, aber dass man besser ein Quorum bei der Wahlbeteiligung hätte einbauen sollen. Denn vor allem emotional Mobilisierte aus der Kerngemeinde stimmten damals ab. So gesehen macht der Fall nicht nur sich regelmäßig wiederholende Missverständnisse zwischen heutiger Kunst und heutiger Kirche sichtbar, er ist auch ein demokratiepraktisches Lehrstück.
Erhabenheit und Ironie
Rießbecks „Luftballons mit Dornenkrone“ sprechen Betrachter jedenfalls auf unterschiedlichen Ebenen an. Die Kinder aus den Eberner Kita seien begeistert gewesen, berichtet Pfarrer Bernd Grosser. Doch der fröhlich-bunte erste Eindruck trug Rießbecks Installation auch den Vorwurf ein, den meditativen Charakter des Raums zu zerstören, „kindisch“ oder „lächerlich“ zu wirken.
Doch hinter der fröhlichen Fassade winkt (oder lauert) mehr. Wie Rießbeck mit seiner Kunst das dem Blick Entzogene sichtbar machen will, aus der subjektiv-existenziellen Erfahrung des Künstlers heraus auf eine Welt hinter der Welt zeigt, machen vor allem die Eiswüstenbilder anschaulich, die im Zentrum seines Schaffens stehen.
„Expeditionsmaler“ auf dem Forschungsschiff Polarstern
Regelmäßig begibt sich Gerhard Rießbeck in die polaren Extremlandschaften. Er hat Polarwinter auf Island und Grönland verbracht, war auf Spitzbergen, Kamtschatka, in der Antarktis. 2001 und 2005 war er „Expeditionsmaler“ auf jeweils mehrwöchigen Arktis- und Antarktis-Expeditionen mit dem Alfred-Wegener-Institut Bremerhaven.
Es liegt auf der Hand, dass es, seit es die Fotografie gibt, keine Expeditionsmaler mehr braucht, um Reisen und Entdeckungen zu dokumentieren. Rießbeck geht es auch nicht allein darum, darauf aufmerksam zu machen, wie wunderschön und wie bedroht diese extremen Landschaften sind. Rießbeck findet in der grenzenlose Öde mit ihrer Un-Menschlichkeit etwas, wofür er einen etwas aus der Mode geratenen Begriff verwendet: Erhabenheit. „Wenn der ganze Globus den Charakter eines Gewerbegebietes angenommen haben wird, wenn alle Rätsel gelöst und durch Probleme ersetzt sein werden, wird auf der Erde nichts mehr sein, was dem kleinlichen Maß des Menschen andere Dimensionen gegenüberstellt, nichts mehr als die allumfassende Mediokrität menschlichen Strebens“, sagt der Künstler.
Analytische Komposition ohne Fotovorlagen
Seine auf den ersten Blick fotorealistisch wirkenden Eislandschaftsbilder basieren nicht auf Fotos, sondern auf inneren Eindrücken. Sie entstehen „analytisch komprimiert“ als künstlerische Konstruktionen ausschließlich im Atelier.
Er habe auf seinen Reisen nie das Gefühl, „eins zu werden mit der Natur“, sagt Rießbeck. Im Gegenteil – in den Eiswelten unseres Planeten werde die schmerzhafte Distanz zum Unverfügbaren erfahrbar, um die es ihm geht: „Ich bin ein Mensch, ich bin hilflos.“
Das wiederkehrende bunte Haus in seinen Eiswelten ist Symbol für den Maler selbst. Aus dem Schutzraum, den das kleine Haus im Polarwinter Grönlands bot, solange Rießbeck dort als „artist in residence“ lebte, ist ein Zeichen des menschlichen Lebens selbst geworden. Es sind die Farben, die Rießbeck wärmen, die das Überleben sichern, Sinn in der Sinnlosigkeit stiften. Den Betrachter stellen die bunten Häuser vor die Frage, was die Farben und Schutzräume des eigenen Lebens sind.
Caspar David Friedrich
„Das Eismeer“ heißt eines der berühmtesten Bilder des Malers Caspar David Friedrich (1774-1840), fälschlich auch unter dem Titel „Gescheiterte Hoffnung“ bekannt. Dieses Bild habe ihn von Anfang an „sehr getroffen“, sagt Rießbeck, „Romantik kann überaus herbe sein.“ Wie Friedrich zielt er darauf, über vordergründig „Natürliches“, Gegenständliches etwas sichtbar zu machen, was nicht sichtbar ist. Sein künstlerisches Programm formulierte Friedrich so: „Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen zuerst siehst dein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, dass es rückwirke auf andere von außen nach innen.“
Künstlerisch geprägt hat Rießbeck auch sein Lehrer Werner Knaupp (83) und dessen „existenzialistisch-erfahrungsgeprägte“ Malerei. Der Nürnberger Künstler und frühere Akademieprofessor unternahm seit den 1960er-Jahren Reisen in die Sand- und Eiswüsten dieser Welt, deren Eindrücke sich in seinem Werk spiegeln. Die Sahara hat Rießbeck ebenfalls bereist, aber es waren die Eiswelten, die ihn nicht mehr losgelassen haben.
„Im Grunde genommen wäre ich wohl am liebsten ein Maler von Altarbildern“,
hat Rießbeck schon 1997 in einem Katalog bekundet. In der Museumskirche von Bad Windsheim (in dem Ort hat der Künstler auch sein Atelier) hat er 2015 diesen Traum verwirklicht. In den frühbarocken Brenck-Altar setzte er eines seiner Eisbilder, das die Frage nach dem Ort des Lebens gewissermaßen auf den Betrachter selbst zurückwirft. Denn anders als bei Caspar David Friedrich sind Rießbecks Bilder meist mit klug-ironischen Brechungen gewürzt.
Wer eine Dornenkrone mit Luftballons zusammenbringt, legt es jedenfalls darauf an, dass etwas platzt. Was sind diese Luftballons? Bald schon Plastikmüll? Unsere Träume? Falsche Hoffnungen? Sind es Seelen? Dafür spräche das griechische Wort für den (heiligen) Geist, „pneuma“, das auch in Luftdrucktechnik („Pneumatik“) und luftgefüllten Reifen („Pneus“) steckt. Und: Wie nahe ist unserer Luftballonzeit eigentlich der Schmerz, der von der Dornenkrone ausgeht?
Es braucht ein neues Kirchendach
Bei Christusdarstellungen könne moderne Kunst nicht bei den konventionellen Formen bleiben, wenn sie wirklich etwas sagen wolle, ist Rießbecks Überzeugung. Es ist zwar eine Enttäuschung bei ihm geblieben, dass man sein Bild in Ebern nicht in der Kirche haben wollte; die Kunstaktion sei trotzdem eine enorm positive Erfahrung gewesen.
Doch als die Auszeichnung Rießbecks in Ebern bekannt wurde, erhoben sich in der Gemeinde sofort die alten ablehnenden Stimmen – und pochten auf den Gemeindebeschluss. Ganz vom Tisch ist die Sache nämlich nicht. Nach 60 Jahren braucht die Christuskirche demnächst eine Sanierung, besonders dringend das Dach. Pfarrer Grosser gehört zu denen, die sich wünschen, dass Rießbecks Dornenkrone im Zuge des anstehenden Renovierungskonzepts vielleicht doch noch ihren Weg in die nun wieder gähnend leere Rotunde im Kirchendach findet.
INFO: Weitere Bilder und Informationen über Gerhard Rießbeck unter www.gerhardriessbeck.de
Ab 24. Oktober: Ausstellung in der Münchener Galerie an der Pinakothek der Moderne / Barbara Ruetz (Gabelsbergerstraße 7, Ecke Türkenstraße), galerie-ruetz.de