„Wem die Natur ihr offenbares Geheimnis zu enthüllen anfängt, der empfindet eine unwiderstehliche Sehnsucht nach ihrer würdigsten Auslegerin, der Kunst.“ (Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, aus: „Kunst und Altertum“, 1823)
Die ältesten Kunstprodukte aus Keramik sind mehrere tausend Jahre alt. Mich fasziniert, dass Menschen seit so langer Zeit mit diesem Werkstoff arbeiten und er noch immer so unterschiedliche Formen annehmen kann. Dazu kommen natürlich die Eigenschaften des Tones, der durch unterschiedliche Zusammensetzung der Rohstoffe und durch Wasserzugabe sehr unterschiedlich verarbeitet werden kann und so unendlich viele Möglichkeiten in der Gestaltung eröffnet. Porzellan, wie wir es kennen, hatte seinen Ursprung Ende des 8. bzw. zu Beginn des 9. Jahrhunderts. Es war lange Zeit mindestens genauso viel wert wie Gold und zählte zum Inbegriff von Luxus, weshalb man es auch das „weiße Gold“ nennt. Der hohe Weissgrad, die Zartheit und gleichzeitige Dichte ist besonders geeignet für sehr filigrane Formen und ermöglicht ein detailliertes Arbeiten. Allerdings ist es nicht leicht, mit Porzellan zu arbeiten, da die Masse sehr schnell trocknet und im feuchten Zustand so gut wie keine Stabilität hat. Doch das macht es zugleich reizvoll, denn man muss diese Fertigkeit Schritt für Schritt erlernen, wie eine Sprache oder ein Musikinstrument. Keramik kann Jahrtausende überdauern, im Gegensatz zu vielen neueren Materialien wie zum Beispiel Kunststoff. Zu den ältesten Funden antiker Keramikkunst gehört die Venusfigur, die als die Göttin der Fruchtbarkeit galt. Die Venusfigur ist praktisch die Mutter aller Keramikfiguren und auch das Vorbild für meine Keramikfiguren. Die Keramiken tragen Namen griechischer Gottheiten, wie zum Beispiel der Aphrodite, dem griechischen Gegenstück der Venus, oder auch Poseidon, Apollon oder schlicht: Nymphen. All diese Figuren sind mit spezifischen Bezügen zur Natur ausgestattet: Apollon beispielsweise gilt als Gott des Lichts, Poseidon als Gott des Meeres und die Nymphen gelten als weibliche Naturgeister. Und diese Verbindungen mit der Natur werden in meinen Werken bildhaft. Durch den Verlust des Glaubens an die alten Götter scheint auch der Glaube an die Heiligkeit der Natur verloren zu sein. Gerade in der heutigen Zeit ist es allerdings wichtig, diesen Glauben und die Wertschätzung wieder zu finden und zu achten. Ich kann immer noch staunen, wenn ich beim genaueren Betrachten der Natur in eine Welt aus Formen, Strukturen und Farben abtauchen kann. In meinen Arbeiten imitiere ich diese Wachstums- und Vegetationsprozesse und lasse die Gewächse nach einer neuen Ordnung wachsen. Durch Anhäufung organischer Formen entsteht der Eindruck der Besiedelung oder Überwucherung. Sie scheinen unkontrolliert zu wachsen und eine neue Realität zu schaffen, die zwischen utopisch und dystopisch schwankt. Aufgrund des Klimawandels wird sich unser Leben durch die Umwelteinflüsse wie extreme Kälte, Wärme, Hochwasser oder Dürre in der nahen Zukunft verändern. Dies wird sich auch auf die Pflanzenwelt und die Verbreitung oder Veränderung von Arten auswirken. Meine Arbeiten scheinen wie das Ergebnis solch einer evolutionsbedingten Veränderung. Meine Werke und mit ihnen mein Blick auf die Welt der Pflanzen sind lediglich eine Momentaufnahme. Sie dokumentieren nicht, sondern sind künstlerisch gefertigte Abbildungen einer Möglichkeit, wie sie aussehen könnten. Ihre biomorphen Formen halten einen Moment im Prozess des Wachsens fest, der ohne abzusehendes Ende weitergeführt werden könnte. Es sind Kunstwerke, die im Gegensatz zur Vanitas nicht an das Vergängliche, sondern an das Organische und Lebendige erinnern.
(Angelika Arendt)
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